Fast ganz Deutschland weiß, was der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz Anfang Juli tat, denn die Presse berichtete mit großer Begeisterung: Der Chef der CDU-Partei flog zur Hochzeit von Finanzminister Christian Lindner mit seinem eigenen silbernen Flieger auf die Schöne Nordseeinsel Sylt.
Es war ein Spektakel im Bild des 67-Jährigen: ein gut betuchter konservativer Kapitalist, der die Früchte seiner langen unpolitischen Karriere als Lobbyist für multinationale Investmentfonds genießt.
Während es den Delegierten gefallen haben mag, wiederholte Merz den Eintrag nicht, als sich seine Partei am Freitag in Hannover zu ihrem letzten Parteitag versammelte.
Merz war in Kampfstimmung, als er die 1.000 Delegierten begrüßte. Er beschrieb den derzeitigen Präsidenten, der die derzeitige Bundesregierung als „wahrscheinlich eine der schwächsten aller Zeiten“ bezeichnete.
Hendrik Wüst (l.) und Daniel Günther (r.) von der CDU haben bei den Landtagswahlen 2022 erdrutschartige Wahlsiege errungen
Konservative fliegen hoch
Wohl auch deshalb wollte Merz in jüngsten Interviews mit öffentlich-rechtlichen Sendern gerne auf der rechten Seite der Umweltdebatte stehen: Er behauptete, sein Propellerflugzeug verbrenne weniger Sprit als das Regierungsauto der Kanzlerin (was Faktenchecker bestritten). Stimmt oder nicht, das war eine gute Zusammenfassung der Botschaft, die die CDU jetzt senden möchte: Kuchen kann man haben und klauen: Grüne Zugeständnisse bedeuten nicht, dass wohlhabende Deutsche auf ihren Luxus verzichten müssen.
Die Episode mit dem Privatflugzeug verdeutlicht vielleicht auch, wie die CDU als Oppositionspartei auch in der Zeit nach Merkel die richtige Linie findet. Für die Konservativen eine ungewohnte Situation. Die CDU, die mit Abstand erfolgreichste Partei der deutschen Nachkriegsgeschichte, stand erstmals seit 16 Jahren wieder außerhalb der Regierung.
Dauerrivalen: Angela Merkel, die Moderate aus der DDR, und Friedrich Merz, der überzeugte Konservative aus dem katholischen Rheinland
Das erste Jahr der Opposition war nicht schlecht: Die CDU, derzeit Spitzenreiter bei den nationalen Meinungsumfragen, hat auch zwei der letzten drei Landtagswahlen gewonnen: in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Der nächste in Niedersachsen ist nur noch einen Monat entfernt und sieht etwas knapper aus als erwartet: Der scheidende SPD-Ministerpräsident Stephan Weil hat nur drei Punkte Vorsprung auf die CDU – deshalb wohl sein CDU-Gegner Bernd Althusmann ist Gastgeber des CDU-Parteitages in der Landeshauptstadt Hannover.
Wo steht die CDU jetzt?
Einige vermuten jedoch, dass die jüngsten Erfolge der CDU relativ oberflächlich sind. „Dass die CDU in den Umfragen besser abschneidet, hat meines Erachtens eher mit den Schwächen der Regierungskoalition zu tun als damit, dass die CDU bereits einen großen Wandel hinter sich hat“, sagte Ursula Münch. Direktor der Tutzing Akademie für Politische Bildung in Bayern, gegenüber der DW.
Auch Uwe Jun, Politikprofessor an der Universität Trier, ist nicht überzeugt: „Die Partei beschäftigt sich immer noch mit dem Erbe von Angela Merkel“, sagt er der DW. „Gerade auf Parteiebene sieht man, dass immer noch gefragt wird: Wo wollen wir hin? Was sind unsere mittel- und langfristigen Ziele? Wir wissen noch nicht, wie die programmatischen Grundlagen der Partei aussehen werden.“ Zukunft.“
Der Schatten der letzten deutschen Bundeskanzlerin schwebt noch immer über der aktuellen politischen Lage wie auch über der CDU: Schließlich war es Merkels CDU, die Deutschlands Energiepolitik maßgeblich geprägt und gestaltet hat, wie Bundeskanzler Olaf Scholz in dieser Woche in einer feurigen Bundestagsrede betonte das Land abhängiger von russischen fossilen Brennstoffen (ein Argument, das etwas untergraben wird durch die Tatsache, dass die SPD von Scholz in drei seiner vier Kabinette saß).
Die richtigen kritischen Bewertungen finden
An den Widersprüchen und internen Konflikten innerhalb der Scholz-Regierung gebe es natürlich viel berechtigte Kritik, sagte Münch. „Aber viele der Probleme, die die Regierung jetzt hat, sind Dinge, die aus der Energiewende (begonnen von der letzten Regierung) entstanden sind, die sehr dilettantisch gehandhabt wurde“, sagte sie. „Diese Dinge können nicht allein dieser Regierung angelastet werden. Und ich denke, das behindert die Opposition.“
Für Kernenergie: Friedrich Merz und Markus Söder, prominenter CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident
Tatsächlich fällt die eigentliche Kritik der CDU an der Scholz-Politik relativ verhalten aus: Zur Ukraine beispielsweise akzeptierte die Partei weitgehend die Position der Bundesregierung, obwohl Merz schnellere Waffenexporte in die Ukraine forderte – wie viele in den ersten Monaten des Jahres Russische Invasion. . Er reiste auch nach Kiew, um seine Unterstützung zu zeigen, bevor die Kanzlerin es tut. Und die CDU stimmte für die Verfassungsänderung, die es der Regierung erlaubte, zusätzliches Geld zu leihen, um 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr zu investieren. „Wenn die CDU dem nicht zugestimmt hätte, wäre das eine riesige Demütigung für Scholz gewesen“, sagte Jun.
Bei der Energiepolitik und den staatlichen Hilfsplänen war die CDU jedoch etwas aggressiver. In seinem kürzlichen Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Sender ARD sagte Merz, die Regierung habe Recht, Rentnern und Studenten zu helfen, aber er argumentierte, dass die Zahlung von 1.000 Euro für Geringverdiener effektiver gewesen wäre als ein paar Hundert Euro für alle.
Er sagte auch, die Regierung habe „keine Antworten darauf gegeben, woher der Strom in den kommenden Wochen und Monaten kommen würde“. Als „völlig absurd“ bezeichnete er dann die Entscheidung der Regierung, die Laufzeit der letzten beiden deutschen Atomkraftwerke nur im Notfall zu verlängern.
Oppositionsführer Friedrich Merz bestand darauf, vor Bundeskanzler Olaf Scholz in die Ukraine zu reisen
Die CDU-Frauenfrage
Während Deutschlands größte Mitte-Rechts-Partei überlegt, wie sie die Regierung am besten angreifen kann, hat sie einige interne Angelegenheiten zu erledigen: Auf dem Parteitag an diesem Wochenende wird die Partei entscheiden, ob sie eine Frauenquote in ihren Führungspositionen einführt oder nicht – irgendetwas bei anderen großen deutschen Parteien bereits Standard.
Die Abstimmung scheint auf Messers Schneide zu stehen, und es ist bemerkenswert, dass die Partei sich geweigert hat, ihre Mitglieder – die im Durchschnitt über 60 Jahre alt, fast 75 % männlich und überwiegend ländlich sind – die Entscheidung treffen zu lassen. Die Stimmabgabe war auf tausend Konferenzdelegierte beschränkt. Dies ist ein Schlüsselthema, das das zukünftige Selbstverständnis der Partei prägen könnte, und in vielerlei Hinsicht läuft die Unterstützung der Führung für die Quote der Partei zuwider.
„Die CDU ist in ihrer Tradition, in ihrem Menschen- und Weltbild eine Partei, die nicht gerne Gesellschaftsstatuten macht“, sagte Münch. „Aber jetzt hat er gelernt, dass sich die Dinge nicht von alleine ändern, zumindest nicht zum Besseren, und er hat enorme Verluste bei den Wählerinnen erlitten. Und natürlich muss er die Konsequenzen tragen.“
In der Tat scheint der Verlust von Merkel der CDU in diesem Bereich geschadet zu haben: Mit ihrem Fernbleiben von der Bundestagswahl 2021 hat die Partei laut einer Umfrage von dimap infratest im Vergleich zu 2017 zwölf Prozentpunkte bei den Wählerinnen verloren nur sechs Punkte bei den männlichen Wählern.
Aber eine Quote ist für die CDU immer noch schwer zu schlucken, und auch jetzt hofft Merz auf einen Kompromiss: Sein Plan ist eine auf die nächsten fünf Jahre begrenzte Quote, bis hoffentlich eine Regelung nicht mehr nötig sein.
Wie das beim Parteitag in Hannover ausgeht, ist unklar. Auf jeden Fall wird der CDU-Chef wohl vorsichtig bleiben und sein Kleinflugzeug zu Hause lassen.
Bearbeitet von: Rina Goldenberg
Während Sie hier sind: Jeden Dienstag fasst die DW-Redaktion zusammen, was in der deutschen Politik und Gesellschaft passiert. Hier können Sie sich für den wöchentlichen E-Mail-Newsletter Berlin Briefing anmelden.
„Typischer Zombieaholic. Allgemeiner Twitter-Fanatiker. Food-Fanatiker. Gamer. Entschuldigungsloser Analyst.“