Deutschlands Nord-Süd-Gefälle wird durch die Energiekrise verschärft | Deutschland | Ausführliche News und Berichterstattung aus Berlin und darüber hinaus | DW

Die politische Nord-Süd-Spaltung Deutschlands ist in den letzten Wochen ungewöhnlich virulent geworden, wobei die Ministerpräsidenten der Länder Bayern im Süden und Niedersachsen im Norden säuerliche Bemerkungen über Energieressourcen austauschten. Die Bundesregierung, die unter dem Druck steht, Wege zu finden, um den Verlust von russischem Gas und Öl zu ersetzen, mischte sich ebenfalls ein.

Das Bundesland Bayern ist weitläufig, reich und berühmt für seine malerischen Landschaften: die Alpen und das Märchenschloss Neuschwanstein. Anders als im Norden und Osten des Landes ist der Katholizismus die dominierende Religion, und viele Bayern sind immer noch stolz auf die alte Monarchie und den Staatsstaat und ärgern sich über die protestantischen „Preußen“ im Norden. Bayern ist auch Heimat des Luxusautoherstellers BMW und wirbt gerne mit einem Mix aus Lokalfarben und Hightech: „Laptop und Lederhosen“.

Niedersachsen sieht im Vergleich deutlich weniger protzig aus. Das große, flache Nordwestland erstreckt sich von der Nordseeküste bis an die Grenzen der ehemaligen DDR und ist relativ dünn besiedelt. Seine Bewohner sprechen akzentfreies Hochdeutsch, sie sind die größten Grünkohlkonsumenten des Landes, und das Land beheimatet den Hauptsitz des Autoherstellers Volkswagen und die meisten Onshore-Windparks in Deutschland.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder gilt als Provokationspolitiker des Nordens

Wind oder Sonne – oder Fracking?

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, bekannt für seine schlagzeilenträchtigen Äußerungen, löste Ende Juli in einem Interview mit dem den jüngsten Nord-Süd-Streit aus Süddeutsche Zeitung. Dort sagte der bayerische CSU-Chef, anstatt ihn mit Windparkregeln zu belästigen, sollte Deutschland über Fracking nach Schiefergasreserven in Deutschland nachdenken Niedersachsen.

Der nördliche Bundesstaat verfügt über potenzielle Gasreserven in der Nähe seiner Westgrenzen und betreibt seit den 1960er Jahren Fracking (das hydraulische Brechen von Grundgestein mit Wasser und Chemikalien), um diese auszubeuten. 2016 wurde die Methode landesweit verboten, da sie als eine der wichtigsten gilt umweltschädliche Methoden der Energiegewinnung.

Söders Äußerungen veranlassten den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil, einen Sozialdemokraten (SPD), sofort mit einem seltenen Tweet auf seinem persönlichen Konto zurückzuschlagen. „‚Der Süden fordert Fracking im Norden'“, schrieb Weil. „Bist du verrückt?! Lieber Markus Söder, wie wäre es endlich mit der Windkraft in Bayern?“

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck von den Grünen übte daraufhin selbst scharfe Kritik an der bayerischen Politik und machte Bayern für mögliche Energieengpässe in Deutschland in diesem Winter verantwortlich.

Die „Südostregion“, sagte Habeck aus Schleswig-Holstein, Deutschlands nördlichstem Bundesland, habe es versäumt, seine erneuerbaren Energieressourcen zu diversifizieren und sich zu sehr auf Energie konzentriert.

„Das Problem ist, dass in Bayern die Sonne auch nachts nicht scheint, und auch in Bayern sind die Tage im Januar kürzer“, sagte er bei einer öffentlichen Demonstration vor dem Auswärtigen Amt im August in Berlin. „Das heißt, mit Sonnenenergie kann man in der Januarnacht in Bayern nicht gerade etwas anfangen, man braucht andere Energieformen.“

Diese Äußerungen kamen im Süden zumindest in Söders Regierungspartei nicht gut an.

„Habeck hat keine Ahnung von Bayern“, empörte sich CSU-Generalsekretär Martin Huber. Münchner Merkur Zeitung, Bayern sei „Vorreiter“ in Sachen Erneuerbare Energien.

Robert Habeck spricht am 21. August 2022 beim Tag der offenen Tür seines Ministeriums in Berlin

Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck hat angedeutet, Bayerns Solaroffensive werde nicht ausreichen

Analysten gehen davon aus, dass beide Politiker recht haben.

„Es ist richtig, dass das mit Abstand größte Bundesland Bayern beim Einsatz von Windkraftanlagen weit zurückgefallen ist“, sagt Mathias Koch, Politikberater Energiewende Deutschland bei E3G, einer unabhängigen Denkfabrik zum Klimawandel in Berlin. „Allerdings ist Bayern mit seinen großen Kapazitäten bei Photovoltaik, Biomasse und Solarthermie, wenn man alle erneuerbaren Energiequellen zusammennimmt, sogar führend unter den deutschen Bundesländern.“

Politische Probleme

Wolfgang Schröder, Politikwissenschaftler an der Universität Kassel, sagte, es gebe strukturelle Dimensionen, die die Nord-Süd-Reihe untermauern.

„Es ist nicht nur ein Konflikt zwischen Söder und Weil oder Söder und Habeck“, sagte er der DW. „Die Situation ist, dass mit dem Wegfall der Kohle und der neuen Situation auf dem Gasmarkt klar ist, dass Bayern und Baden-Württemberg [the wealthy state in Germany’s south-west] werden in Zukunft die größten Probleme haben, während Küstenstaaten mit mehr Windkraft im Vorteil sind.“

Windpark in Niedersachsen

Niedersachsen hat die meisten Onshore-Windparks in ganz Deutschland

Deutschlands Plan für seine sogenannte „Energiewende“ war einst ganz klar: Um den Wegfall der Atom- und Kohlekraft in den Südstaaten zu kompensieren, sollte Deutschland mehr Stromtrassen bauen, die die Stromnetze aus dem Norden und dem Süden miteinander verbinden.

„Aber Bayern hat weitergekämpft, weil sie erkannt haben, dass es Widerstand gegen diese neuen Stromtrassen gibt – die Menschen sahen darin einen Eingriff in ihre natürliche Umgebung und dachten, sie könnten im Land genug Strom produzieren“, sagte Schröder. „Insofern stimmt es, dass die Bayern große Fehler gemacht haben.“

Söders Fracking-Vorschlag wirkt in diesem Zusammenhang wie eine bewusste Provokation, nicht zuletzt, weil die heimische Förderung von Erdgas laut Koch keine gute Alternative sei, nicht zuletzt, weil es auch ein klimaerwärmender fossiler Brennstoff sei.

Wahlen auf dem Spiel

Die Rhetorik zwischen Weil und Söder dürfte durch die bevorstehenden Bundestagswahlen in beiden Bundesländern bestärkt worden sein: Niedersachsen geht am 9. Oktober an die Urnen, Bayern bereitet sich auf die Wahlen im kommenden Herbst vor.

Die jüngsten niedersächsischen Umfragen geben Stephan Weils Mitte-Links-SPD-Sozialdemokraten 30 Prozent der Stimmen und einen knappen Vorsprung von drei Punkten vor der CDU mit 27 Prozent. Die beiden Parteien der Mitte bilden derzeit die Regierungskoalition des Landes, obwohl die CDU angesichts des bundesweiten Abrutschens der SPD darauf hoffen könnte, Weil als Ministerpräsident abzulösen – wenn sich genügend Wähler dafür entscheiden Sozialdemokrat.

Stephan Weil lächelt vor einem Zug

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil erlebte im August die Ankunft von 14 reinen Wasserstoffzügen in seinem Bundesland

„Es wird immer enger“, sagte Schröder. „Ich gehe davon aus, dass Weil die Wahl gewinnt, denn wenn ein Ministerpräsident gewählt wurde, wird er in der Regel wiedergewählt. Aber die Situation hat sich in den letzten Wochen geändert, und ein Moment dieser Änderung ist der starke Sinn der Unsicherheit und der daraus resultierenden Angst der Menschen, dass die Politik nicht angemessen mit dem Wandel umgeht.“

In Bayern hingegen ist Söders CSU seit 1957 ununterbrochen an der Macht und lag im Juni noch zwischen 37 und 40 Prozent der Stimmen. Söder führt derzeit eine Koalition mit den Freien Wählern, einer kleinen Mitte-Rechts-Partei mit rund 10 Prozent. Wenn diese Zahlen sinken, könnte es für Söder schwierig werden, seine derzeitige bevorzugte Koalition fortzusetzen.

Doch Schröder sieht eine Chance für Veränderungen: „Innerhalb der CSU hat es in den letzten Jahren einige Liberalisierungen gegeben, die eine Koalition mit den Grünen möglich machen könnten. Dies wäre ein grundlegender Wandel in der bayerischen Politik.

Man kann sich vorstellen, dass dies auch für Habeck und die Bundesregierung eine Erleichterung darstellen würde, da es die politische Grundlage für eine neue Erneuerbare-Energien-Dynamik in Bayern schaffen könnte.

Bearbeitet von: Rina Goldenberg

Während Sie hier sind: Jeden Dienstag fasst die DW-Redaktion zusammen, was in der deutschen Politik und Gesellschaft passiert. Hier können Sie sich für den wöchentlichen E-Mail-Newsletter Berlin Briefing anmelden.

Ebert Maier

"Typischer Zombieaholic. Allgemeiner Twitter-Fanatiker. Food-Fanatiker. Gamer. Entschuldigungsloser Analyst."

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert