Es war ein kalter, sonniger Herbsttag, als sie in Berlin ankamen: Am 6. Oktober 2012, vor genau zehn Jahren, absolvierten Dutzende Flüchtlinge einen 600 Kilometer langen Protestmarsch. Sie waren aus Bayern gekommen und hatten sehr öffentlich gegen Gesetze verstoßen, die ihnen das Verlassen der isolierten Asylunterkünfte untersagten. Bis zu 10.000 Menschen begrüßten sie mit einem Protest für die Bewegungsfreiheit. Danach gingen die Flüchtlinge nach Kreuzberg und besetzten den Oranienplatz.
Am 6. Oktober 2012, vor genau zehn Jahren, absolvierten Dutzende Flüchtlinge einen 600 Kilometer langen Protestmarsch.
Sie wollten nicht unsichtbar sein: Eingesperrt auf dem Land, in abgelegenen Auffanglagern, in denen viele Flüchtlinge Selbstmord begangen hatten. Der Oranienplatz, der in den 1920er Jahren durch die Zuschüttung eines Kanals entstand, lag mitten im Zentrum der Hauptstadt, ein perfekter Ort, um gesehen zu werden. Bald lebten 200 Menschen in Zelten auf dem Platz. Zu Beginn des Winters besetzten sie die ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße 10. Diese Räume boten vielen Menschen, die ihrer Grundrechte beraubt waren, eine Unterkunft. Sie waren aber auch Räume für die Organisation von Demonstrationen.
2014 befahlen die Grünen der Polizei, die Flüchtlinge abzuschieben (sie haben so lange gewartet, weil die Grünen damals noch fortschrittlich und antirassistisch auftreten wollten. Jetzt sind sie natürlich stolz darauf, die militaristischsten und antirassistischsten zu sein – Sozialpartei in Deutschland). Diese Zwangsräumungen führten zu massiven Polizeieinsätzen und dramatischen Zusammenstößen. Polizisten sperrten eine ganze Woche lang ein Zehn-Block-Gebiet in Kreuzberg ab. Tausende Schülerinnen und Schüler streikten, um ihre Solidarität mit den Widerstandskämpfern in der Ohlauer Straße zu bekunden. (Den Kindern geht es gut!)
Exberliner viel vom Oranienplatz berichtet. Nicht, dass ich jemals viel Vertrauen in die großen kapitalistischen Medienapparate gehabt hätte, aber ich war dennoch schockiert, als sie alle behaupteten, die gewaltsamen Polizeiräumungen seien „freiwillig ausreisende Flüchtlinge“.
Einem besonders heldenhaften Aktivisten gelang es, dem Berliner Senat ein Zugeständnis abzuringen: Trotz des Rauswurfs durften sie auf dem Platz ein Zirkuszelt für Versammlungen unterhalten. Als diese ein Jahr später abbrannte, erinnerte auf dem Oranienplatz (bis auf wenige Schilder) nichts Physisches an die politische Schlacht.
Jetzt, zehn Jahre später, stehen auf dem Platz wieder Schiffscontainer für künstlerische Darbietungen und politische Versammlungen.
Die Welt wird in den kommenden Jahren viel mehr Flüchtlinge – und viel mehr Proteste für ihre Rechte – sehen.
Angela Davis kommt aus Kalifornien. Das mag junge Leser überraschen, die den antirassistischen und kommunistischen Veteranen von Black Lives Matter kennen. Aber Davis‘ Verbindung zu Berlin reicht mehr als 50 Jahre zurück. Sie war der größte Star der Deutschen Demokratischen Republik, deren Bürger eine Million Postkarten mit der Forderung nach ihrer Freilassung verschickten, als sie wegen erfundenen Mordes inhaftiert war. Einmal frei, fühlte sich seine Ankunft am Flughafen Schönefeld wie die sozialistische Version der Beatles-Landung an.
In den letzten zehn Jahren hat Berlin mehr Flüchtlingskrisen erlebt – die Zahl der Menschen, die gezwungen sind, aus ihrer Heimat zu fliehen, wird nur zunehmen, wenn der Kapitalismus den Planeten verbrennt und Zusammenstöße zwischen Staaten provoziert. Wie tief rassistisch Deutschland ist, zeigt der Vergleich der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine und ihren dunkelhäutigen Artgenossen aus Afrika und dem Nahen Osten. Die Ukrainer haben sich mit wenig bürokratischem Aufwand das Recht auf Arbeit erkämpft – ein Grundrecht, das jeder Mensch verdient. Vielen Menschen aus Syrien oder Eritrea, die dasselbe Recht einfordern, wurde gesagt, dass dies einfach unmöglich sei.
Der Oranienplatz bleibt ein Symbol dafür, wie Menschen aus vielen verschiedenen Ländern aus der Isolation ausbrechen und gemeinsam für Grundrechte kämpfen können. Die Welt wird in den kommenden Jahren viel mehr Flüchtlinge – und viel mehr Proteste für ihre Rechte – sehen. Die Geschichte dessen, was hier geschah, wird eine Quelle moralischer und politischer Inspiration bleiben.
Weitere Informationen zur Geschichte der Flüchtlingsproteste in Berlin sowie zu Angela Davis‘ Zeit in der Stadt finden Sie in Nathaniels antikapitalistischem Leitfaden: Revolutionäres Berlinab sofort bei Pluto Press erhältlich, 304 Seiten, 18,99 € / 14,99 £.