das neue Schimpfwort in Deutschland, Evangelischer Fokus

Jedes Jahr wählt eine Jury in Deutschland das Nichtwort des Jahres. Im vergangenen Jahr war es der nur in akademischen Kreisen verwendete Begriff „Remigration“, der „allgemein die Rückkehr in einen mehr oder weniger weiten Ursprungskontext der Migration am Ende einer Migrationskette bezeichnet“. In der Migrationssoziologie bezeichnet man damit die Rückwanderung von Nachkommen von Migranten in das Herkunftsland ihrer Eltern.

Rückwanderung können von Migranten selbst initiiert oder erzwungen werden. Beispielsweise kehrte unsere Familie 1976 nach Deutschland zurück, mehrere Generationen nachdem unsere Vorfahren in das Russische Reich ausgewandert waren. Deshalb wurden wir auch Heimkehrer oder Heimkehrer genannt. Ich habe meine eigene Geschichte der Rückkehrmigration in einer autobiografischen Erzählung geschrieben.

Eine Rückwanderung kann aber auch vom jeweiligen Staat erzwungen werden, in diesem Fall spricht man von „Repatriierung“.Vertreibung“ Oder „Abschiebung„. Meine eigene Familie wurde wiederholt aus ihrem Wohnort in der ehemaligen Sowjetunion vertrieben und musste bei ihrer Ankunft am Ort der Vertreibung stets ihr Hab und Gut zurücklassen und Leid ertragen. Nichts hat so negative Auswirkungen auf die Biografie eines Menschen wie die erzwungene Vertreibung unschuldiger Menschen.

Es schockiert mich, wenn Politiker, die sich für Zwangsrückwanderung einsetzen, auch öffentlich ihren Glauben an Jesus Christus und christliche Werte zum Ausdruck bringen.Die Gründe, warum Migranten in ihr Herkunftsland zurückkehren, können vielfältig sein und reichen von Integrationsschwierigkeiten im Aufnahmeland bis hin zu Heimweh oder einer Verbesserung der gesellschaftspolitischen Situation im Herkunftsland.

Und ebenso vielfältig sind die Gründe für eine erzwungene Ausweisung aus dem Aufnahmeland. In diesem Fall verfügen die Migranten entweder nicht über die entsprechende Einwanderungsgenehmigung oder sie haben schwere Straftaten begangen und werden als Straftäter abgeschoben.

Allerdings verwendet die europäische politische Rechte diesen Begriff seit einiger Zeit, um in ihrem Staat grundlegende ethnische Säuberungen durchzusetzen. Hier müssen Menschen mit Migrationshintergrund abgeschoben werden In Masse und nur auf der Grundlage ihrer ethnischen Unterschiede.

In Deutschland werden solche Projekte in nationalistischen politischen Kreisen diskutiert. Und politische Parteien wie die Alternative für Deutschland (AfD) unterstützen sie gerne. Diese Realität löst in den ersten Wochen des Jahres 2024 bundesweit massive Proteste gegen die AfD und ähnliche Kreise aus. Remigration ist in der Tat zu einem äußerst gefährlichen Begriff geworden, einem Schimpfwort, das das Potenzial hat, ewigen Nationalisten eine Plattform zu bieten, die an die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands erinnert.

Die meisten Menschen verlassen ihr Land, weil das Leben unter den Bedingungen, in denen sie sich befinden, unmöglich geworden ist. Kriege, Flucht, Verfolgung oder auch unvorstellbare Armut nehmen Migranten die Luft zum Atmen. Eine Rückkehr unter diesen Umständen erscheint für diese Flüchtlinge nicht nur riskant, sondern auch lebensbedrohlich, wie neueste Feldstudien zur Remigration zeigen.

Wenn rechte Politiker über Remigration sprechen, wirkt das angesichts dieser Umstände eher unmenschlich. Wie kann man Menschen, die in unserem Land Zuflucht und Brot suchten und fanden, in ihr Elend zurückschicken wollen? Und noch mehr: Menschen, die sich in ihrem neuen Land integriert haben, Arbeit und Wohnraum gefunden haben und aktiv zum Wohlstand unserer Gesellschaft beitragen?

Was mich am meisten schockiert, ist, wenn dieselben Politiker, die sich für Zwangsrückwanderung einsetzen, dann öffentlich ihren Glauben an Jesus Christus bekunden und von ihrer grundsätzlichen Treue zum christlichen Glauben und den entsprechenden christlichen Werten sprechen.

Hier passt fast nichts. Würde Jesus, an den diese Politiker angeblich glauben, Menschen in Not abweisen und sie sogar gewaltsam abschieben? Vor allem, wenn in ihrer ehemaligen Heimat die Hölle auf Erden auf sie wartet? Würde es Menschen aus ihrer neuen, hart arbeitenden Heimat vertreiben, nur weil ihre ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe oder Kultur nicht mit der Mehrheitsbevölkerung übereinstimmt? Kaum, zumindest nicht der Jesus, den ich kenne.

Jesus verstand sich grundsätzlich als Freund der Bedürftigen. Er sagt von sich selbst: „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele hinzugeben“ (Markus 10,45). Unter den Wohlhabenden war Jesus nicht zu sehen. die Elite seines jüdischen Volkes. Dort versammelten sich Menschen, die von dieser Elite verachtet wurden und alles taten, um sie vom Hof ​​zu vertreiben. In Markus 2:16-17 lesen wir:

„Und als die Schriftgelehrten der Pharisäer sahen, dass er mit Sündern und Zöllnern aß, sprachen sie zu seinen Jüngern: Isst er mit Zöllnern und Sündern? Als Jesus das hörte, sagte er zu ihnen: „Nicht die Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken.“ Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder.“

Und es waren keineswegs nur diejenigen seines eigenen jüdischen Volkes in Not. Ja, Jesus betonte auch, dass er in erster Linie zu den verlorenen Kindern des Hauses Israel gesandt wurde. Ein Argument, das ich auch oft von rechten Politikern höre. „Unser Auftrag ist auf Deutschland beschränkt. Wir sind für das Wohlergehen der Deutschen verantwortlich. An dieser Stelle wird oft die Geschichte der Begegnung Jesu mit der kanaanäischen Frau zitiert. Wir lesen die Geschichte in Mt 15,21-28, wo es heißt:

„Und Jesus ging von dort und floh in die Gegend von Tyrus und Sidon. Und siehe, eine kanaanitische Frau kam aus dieser Gegend und rief: „O Herr, Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter leidet unter einem bösen Geist. Aber er antwortete ihr kein Wort. Da kamen seine Jünger und flehten ihn an und sprachen: Lass sie gehen, denn sie schreit zu uns. Aber er antwortete und sagte: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. Und sie kam und fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir! Aber er antwortete: „Es ist nicht richtig, das Brot der Kinder zu nehmen und es den Hunden vorzuwerfen.“ Und sie sagte: „Ja, Herr; aber Hunde fressen Krümel, die vom Tisch ihres Herrn fallen.“ Da antwortete Jesus und sagte zu ihr: „Frau, dein Glaube ist groß. Möge es dir geschehen, wie du es wünschst! Und seine Tochter wurde noch in dieser Stunde geheilt.“

Natürlich hatte Jesus eine besondere Mission für Israel. Aber hat er die Bedürftigen anderer Völker beiseite gelassen und sie abgelehnt? Nein, er hat ihnen auch geholfen. Sogar ein römischer Offizier, dessen Diener krank war, lehnte seine Bitte nicht ab und heilte ihn (Matthew 8:5-13).

Hat Jesus die Bedürftigen anderer Völker außen vor gelassen und abgelehnt?

Und was er tat, sollten nun auch seine Jünger tun. Christen werden so gesandt, wie er gesandt wurde (Johannes 20,21). Aber nicht mehr an ein einzelnes Volk, Israel, oder auch nur an seine eigene Nation, sondern an alle Völker der Erde (Mt 28,19). Angesichts des biblischen Großen Auftrags kann kein Christ jemals einen exklusiven Dienst für sein oder ihr bestimmtes Land beanspruchen.

Ja, Gott schickt uns manchmal zu bestimmten Menschen. Aber niemals unter Ausschluss anderer. Der universale Anspruch des Missionsbefehls bleibt für alle Christen gültig. Und dazu gehören auch Christen mit einer gerechten Einstellung, die sich gerne mit dem christlichen Glauben schmücken. Aus biblischer und theologischer Sicht ist jeglicher nationaler Partikularismus im Sinne christlicher Lebensberufung ausgeschlossen. Christen engagieren sich für alle Menschen auf dieser Welt.

„Was für Missionare gilt, gilt nicht unbedingt für Politiker“, sagen Nationalisten unter den Christen. Wirklich? Aus welcher Passage der Heiligen Schrift haben diese Damen und Herren einen solchen Exklusivanspruch abgeleitet?

Als Theologe finde ich so etwas im Wort Gottes nicht. Im Gegenteil: Jesus ruft seine Jünger sogar dazu auf, ihre Feinde zu lieben (Mt 5,44). Und von wem, wenn nicht von unseren Feinden, wollen wir Menschen Abstand halten? Aber Christen, die Jesus nachfolgen, können das nicht tun. Sie sollten ihre Feinde lieben!

Auch deshalb soll der erste deutsche Kanzler Otto von Bismarck (1815–1898), ein protestantischer und lutherischer Politiker, behauptet haben, dass man mit der Bergpredigt in der Hand kein Land regieren könne.

Christen vertreten weniger die Partikularinteressen ihrer Parteien als vielmehr die Werte des Reiches Gottes.

Bismarck wurde von niemand geringerem als dem berühmten Theologieprofessor Friedrich Schleiermacher (1768-1834) getauft und gefirmt und galt als lebenslanger Gläubiger. Sicherlich wird ihm bei einer solchen Positionierung Martin Luthers sogenannte Zwei-Regimenter-Lehre geholfen haben, die die Verantwortung für den Staat und damit die Politik den Obrigkeiten und Fragen der Spiritualität und des Heils der Kirche zuschreibt.

Und seine Überzeugung wurde seitdem von Politikern aller Parteien geteilt. Der überaus beliebte deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt (1918-2015) zeigte großes Verständnis für Bismarcks Überzeugungen.

Doch Luthers Ideen waren von Anfang an recht umstritten. Weder er noch seine Bewunderer nach ihm konnten eine angemessene theologische Begründung für eine solche Lehre liefern.

Mehr als alle anderen lehnten die Täufer Luthers Lehre als unbiblisch ab. Christen konnten ihr Leben als Nachfolger Christi einerseits und Anhänger politischer Theorien und Führer andererseits nicht verstehen. Sie verließen sich in allem auf Gott und auf Gott allein. Bis in die Neuzeit wurden Täufer in Europa brutal verfolgt. Aber wo der Staat nach Gottes Willen Gutes tut (Röm. 13,1ff.), arbeiten sie auch gerne mit dem Staat zusammen.

Daher sind Christen immer Missionare, insbesondere in der Politik. Tatsächlich ist die christliche Mission immer auch eine politische Mission. Doch hier vertreten sie nicht so sehr die Partikularinteressen ihrer Parteien, sondern vielmehr die Werte des Reiches Gottes, die jedes Unrecht ausschließen, auch und gerade dann, wenn es dem eigenen Wohl dienen soll. Daher sollten sie keinen modernen Slang wie „Remigration“ verwenden und rechte Parolen wiederholen.

Johannes ReimerProfessor für Missionswissenschaft an der University of South Africa (UNISA) und Direktor von
Abteilung für öffentliches Engagement der Weltevangelischen Allianz (WEA).

Dennis Conway, Robert B. Potter: Rückwanderung der nächsten Generationen – Transnationale Mobilität des 21. Jahrhunderts. (Farnham: Ashgate Publishing 2009), 3. Auflage.

Johannes Reimer: Rückkehr in das Land der Väter. (Basel: Brunnen Verlag 2008).

Weitere Einzelheiten finden Sie in meiner Familiengeschichte: Johannes Reimer: Opa Hans erzählt. Die Geschichte meiner Eltern. (Bergneustadt: Selbstverlag 2023).

Siehe unter anderem: Martin Luther: Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei (1523). WA 11, 245-281.

Kurt aNowak: Zwei Elemente: Anmerkungen zum Entstehungsprozess einer umstrittenen Begriffsprägung und Kontroversen Lehre. In: Zeitschrift für Theologie und Kirche78/1 (1981), 105-127.

Mehr dazu in: Johannes Reimer: Politische Mission. Der Auftrag der Kirche und der Politik. (Carlist: Langham 2017).

Ebert Maier

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