Der Autor ist promovierter Autor. Kandidat an der Technischen Universität Chemnitz, Institut für Politikwissenschaft.
ISTANBUL
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will während seiner viertägigen Asienreise Deutschlands Ambitionen auf eine internationale Führungsrolle zurückgeben. Gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will die Bundeskanzlerin die Weichen für eine neue außenpolitische Strategie gegenüber Asien stellen. Vertiefung der Beziehungen zu den ASEAN-Staaten Deutschland verfolgt das Prinzip der „Realpolitik“. Hinsichtlich der Besuche deutscher Politiker in Vietnam, Singapur und Indonesien (zum G-20-Gipfel) ist eine langfristige Verschiebung der deutschen außenpolitischen Strategie gegenüber Südostasien, insbesondere China, zu erkennen.
Deutschland gestaltet eine neue Politik gegenüber China. Zu dieser außenpolitischen Strategie gehört die Vertiefung der Beziehungen zu den ASEAN-Staaten. Diesmal will Deutschland präventiv agieren. Deutschland ist derzeit in seiner Handelspolitik stark von China abhängig. Ohne Zweifel ist seine Handelspolitik (246,5 Milliarden Euro Handelsvolumen im Jahr 2021) mit China für Deutschland sehr profitabel. Allerdings will Deutschland eine weitere mögliche Krise wie den russisch-ukrainischen Krieg vermeiden. Eine einseitige Abhängigkeit von einem Global Player, mit dem die Beziehung jeden Moment zusammenzubrechen droht, ist gerade für die deutsche Wirtschaft ein hohes Risiko. Scholz‘ Asienreise ist daher nur eine logische Konsequenz, um eine weitere verheerende außenpolitische Krise abzuwenden.
Diversifizierung der Handelspartner
Der russisch-ukrainische Krieg hatte nicht nur für Deutschland, sondern vor allem für ganz Europa verheerende Folgen. Aufgrund der negativen Auswirkungen auf den Wirtschafts- und Energiesektor steht Europa vor einer seiner größten Krisen der letzten Jahre. Von Russland abhängig, befand sich Europa lange Zeit auf einer dünnen Eisschicht. Die realpolitische Außenpolitik von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) und seiner Nachfolgerin Angela Merkel (CDU) gegenüber Russland hat jedoch nicht die Befürchtung aufkommen lassen, dass die Beziehungen zwischen Russland und Europa wie jetzt in eine Krise geraten werden. Die beiden Kanzlerinnen und Kanzler konnten in ihrer jeweiligen Amtszeit dank ihrer herausragenden Führungsqualitäten die Balance zwischen transatlantischer, europäischer und russischer Außenpolitik wahren.
Die aktuelle deutsche Koalitionsregierung unter Scholz handelte sehr schnell, indem sie Sanktionen gegen Russland verhängte. Die späteren Folgen im Wirtschafts- und Energiebereich sind nicht ausreichend berücksichtigt. Um die Folgen ihrer unmittelbaren Reaktion auf den russisch-ukrainischen Krieg auszugleichen, reisen Scholz und Habeck nach Südostasien, um ähnliche Fehler präventiv zu vermeiden. Da Deutschland stark von China abhängig ist, ist es für Deutschland oder ganz Europa schwierig, sich kurzfristig von den Auswirkungen einer solchen Krise zu erholen, falls es zu einer ähnlichen Krise kommen sollte. Die Asienreise deutscher Politiker kann daher als rationaler außenpolitischer Strategieansatz angesehen werden. Allerdings ist auch anzumerken, dass Deutschland beim Krisenmanagement im russisch-ukrainischen Krieg nicht nach dem Prinzip der „Realpolitik“ gehandelt hat.
Deutschland bemüht sich, seinen Ruf wiederherzustellen
Wenig überraschend hat der Krieg in der Ukraine und der damit einhergehende Rückgang der Wirtschaftsleistung Deutschlands auch an Ansehen gelitten. Deutschland nahm und nimmt innerhalb der Europäischen Union (EU) eine führende Position ein. Aufgrund seiner geografischen Lage ist es nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das politische Zentrum Europas. Vor allem seine geografische Lage bringt die Vorteile mit sich, als Handelsstaat zwischen West- und Osteuropa wirtschaftlich agieren zu können. Allerdings birgt sie auch einige politische Risiken, wie die Flüchtlingskrise 2015 und jetzt der Krieg in der Ukraine gezeigt haben. Deutschland hat insbesondere unter der Ära Merkel mehrere Krisen erlebt, wie die Eurokrise, den Brexit und die erwähnte Flüchtlingskrise. Auch die Annexion der Krim im Jahr 2014 und die damit verbundenen Unruhen in der Ukraine wirkten sich leicht negativ auf die Beziehungen zu Russland aus. Aufgrund dieses erfolgreichen Krisenmanagements hatten diesmal nicht nur die europäischen Mitgliedsstaaten, sondern auch andere Staaten der Welt recht hohe Erwartungen an Deutschland. Allerdings agierte Deutschland unter Scholz nicht so souverän wie unter Merkel und Schröder. Dadurch wurde der Ruf des Landes als Vorreiter in Europa beschädigt. Deutschland hat auch seine Ambitionen aufgegeben, ein einflussreicher Akteur auf der internationalen Bühne zu werden.
Die Herausforderung von Scholz‘ „Ruf“ in der Innenpolitik
Nicht nur Deutschland, auch Bundeskanzler Scholz selbst möchte seinen Ruf wiederherstellen. Scholz steht nicht nur international, sondern auch national unter Druck. In den wöchentlichen Umfragen sinkt der Popularitätswert seiner sozialdemokratischen Partei weiter. Dies liegt vor allem an der erwähnten instabilen Wirtschaftsentwicklung und steigenden Energiepreisen, die sich beide direkt negativ auf das Wohlergehen der deutschen Bevölkerung auswirken. Die wichtigste Opposition, die CDU/CSU, ist unter Friedrich Merz in vollem Gange und könnte bei den nächsten Wahlen die SPD an der Spitze einer Koalitionsregierung ablösen.
Auch innerhalb der Regierungskoalition sind Spannungen spürbar, insbesondere zwischen SPD und Grünen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die gegensätzlichen Meinungen innerhalb der Grünen die Gesamtsituation innerhalb der Koalitionsregierung erschweren. Außenministerin Annalena Baerbock und Robert Habeck gelten inzwischen als Rivalen innerhalb der Grünen. Während Baerbock moralische Werte wie Meinungsfreiheit und Menschenrechte in der internationalen Politik vertritt, versucht Habeck, die angeschlagene deutsche Wirtschaft durch rationale Politik wiederzubeleben. Damit hat Scholz eine ähnliche Position wie Habeck, weshalb eine gemeinsame Asienreise der beiden deutschen Spitzenpolitiker kein Zufall ist.
Durch die Reise nach Asien will Scholz seine Führungsambitionen international unter Beweis stellen. Der Wandel in der deutschen Chinapolitik und die Vertiefung der Beziehungen zu den ASEAN-Staaten bedeuten nicht nur einen großen Wandel in der deutschen Außenpolitik gegenüber China, sondern auch im internationalen Umfeld insgesamt. Damit würde Scholz der deutschen Außenpolitik eine neue „Scholzsche“ Handschrift verleihen. Wie erfolgreich diese Strategie sein wird, bleibt abzuwarten. Scholz‘ Führungsqualitäten werden sich sicherlich nicht nur am Erfolg seiner neu ausgerichteten Asien-Außenpolitik messen lassen. Auch die Stabilität Europas wird am Ende eine große Rolle spielen.
https://www.tagesschau.de/inland/analyse-chinabesuch-scholz-101.html
https://www.tagesschau.de/ausland/asien/scholz-asien-reise-101.html
https://www.finanzen.net/nachricht/aktien/scholz-mit-habeck-bei-wirtschaftskonferenz-in-singapur-11900859
https://www.nordsee-zeitung.de/Nachrichten/Habeck-verteidigt-Gaspreisbremse-gegen-Kritik-99896.html
https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/annalena-baerbock-und-robert-habeck-wie-angespannt-ist-das-verhaeltnis-li.286516
https://www.welt.de/wirtschaft/article242104619/Asien-Pazifik-Konferenz-An-einer-Stelle-widerspricht-Habeck-dem-Siemens-Chef.html
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/habeck-apk-101.html
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