In seinem Artikel „Deutschland: Europas müder Mann“ (12. Februar) übersieht John Cassar White wichtige Elemente des Zitats von Bundesfinanzminister Christian Lindner.
In seinem Statement auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos Ende Januar dieses Jahres betonte Lindner, Deutschland sei nicht krank, sondern eher müde nach einer kurzen Nacht, also einer sehr erfolgreichen Zeit seit 2012 und den letzten Krisenjahren. Das war ein Weckruf, und was Deutschland jetzt braucht, ist eine „Tasse starken Kaffee“, also Strukturreformen.
Zwar stand Deutschland 2023 aus verschiedenen Gründen ein wirtschaftlich schwieriges Jahr bevor, wir rechnen jedoch mit einer positiven Trendwende und – nach einem minimalen Wachstum im Jahr 2024, wie auch anderswo in der EU – im darauffolgenden Jahr wieder mit einem Nettowachstum. Positive Entwicklungen sind bereits zu verzeichnen: Die Energiepreise haben sich auf einem niedrigeren Niveau stabilisiert, kaum höher als vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Inflationsrate in Deutschland sinkt und der Arbeitsmarkt bleibt robust, was sich positiv auf den Binnenkonsum auswirken wird.
Angesichts des hohen Investitionsbedarfs beim Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft wird erwartet, dass die Ausrüstungsinvestitionen in Fabriken und Maschinen weiter zunehmen. Strukturelle Herausforderungen wie Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel sowie Bürokratie behindern jedoch weiterhin die wirtschaftliche Entwicklung.
Deshalb arbeiten wir hart daran, diese Herausforderungen entschlossen anzugehen. Die Bundesregierung hat im Oktober 2023 einen 10-Punkte-Plan vorgelegt, der unter anderem die Förderung von Zukunftstechnologien, eine Reform zur Förderung der Fachkräftezuwanderung, ein Programm zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, den Abbau von Bürokratie, die Fortschreibung der nationalen Wasserstoffstrategie sowie die Weiterentwicklung einer ehrgeizigen Strategie umfasst Handelsagenda sowie die Beschaffung und Lieferung von Rohstoffen.
Heute importieren wir kein Gas, Öl oder Kohle mehr aus Russland
Deutschland ist eine Industrienation und ein Großteil unseres Wohlstands hängt vom internationalen Handel ab. Veränderungen auf den globalen Märkten wirken sich leicht auf uns aus. Die WTO stellte kürzlich eine Schwäche im Welthandel fest; und wir sind besorgt über die Zunahme protektionistischer Tendenzen. Deshalb setzt sich Deutschland weiterhin für offene und nachhaltige internationale Handelsregeln ein, darunter Maßnahmen zur Stärkung des europäischen Binnenmarkts und internationaler Partnerschaften.
Deutschland war vom Energiepreisschock nach der groß angelegten Invasion Russlands in der Ukraine besonders betroffen, da wir bis 2022 viel Gas aus Russland importierten. Anders als viele erwarteten, gelang es uns jedoch, unsere Energieversorgung innerhalb weniger Monate umzustellen.
Heute importieren wir kein Gas, Öl oder Kohle mehr aus Russland. Wir konnten unsere Energieversorgung sicherstellen, ohne dass es zu einem gravierenden Konjunktureinbruch kam. Die Folgen sind jedoch noch spürbar. Deshalb sind wir noch entschlossener, den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben.
Wir setzen auf unsere traditionellen wirtschaftlichen Stärken: einen innovativen Mittelstand mit vielen „Hidden Champions“ als Marktführern; ein diversifizierter Industriesektor; ein solides Berufsausbildungssystem; robuste Infrastruktur; und ein starker Sozialstaat.
Auch für Unternehmen gelten diese guten Rahmenbedingungen weiterhin: Mehr als zwei Dutzend privatwirtschaftliche Projekte mit einem Investitionsvolumen von über 80 Milliarden Euro zeugen vom Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Deutschland. Deutschland kann auf die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen bauen, um die grüne Transformation und Digitalisierung unserer Wirtschaft voranzutreiben.
Wie viele europäische Länder verzeichnet auch Deutschland eine wachsende Unterstützung rechtsextremer Populisten. Um ein klares Zeichen gegen rechtsextreme Ideologien zu setzen, sind in den letzten Wochen mehr als eine Million Menschen in verschiedenen Groß- und Kleinstädten in ganz Deutschland auf die Straße gegangen.
Dieses zivilgesellschaftliche Engagement bildet das Rückgrat der deutschen Demokratie und die Bundesregierung setzt sich politisch mit verschiedenen Programmen und Initiativen für die Bekämpfung des Rechtsextremismus und die Demokratieförderung ein.
Tanja Beyer ist Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland.
„Neigt zu Apathieanfällen. Bierevangelist. Unheilbarer Kaffeesüchtiger. Internetexperte.“