Wie die deutsche Wissenschaft sich zunehmend der mit China verbundenen Risiken bewusst wird

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Chinas Position zum Krieg in der Ukraine hat in der deutschen Wissenschaft zum Nachdenken geführt. Seitdem zahlreiche Beweise dafür aufgetaucht sind, dass Peking seinen engen Freund und strategischen Partner Wladimir Putin militärisch unterstützt, werden zahlreiche Kooperationen zwischen deutschen Universitäten und Forschungsinstituten und chinesischen Institutionen in einem anderen Licht dargestellt.

„Der Krieg in der Ukraine hat die Wahrnehmung verändert. Wir können nicht leugnen, dass es neben der Partnerschaft mit China auch eine Rivalität gibt“, erklärt Yannick Ringot, Koordinator des Hamburg Network on Compliance in Cooperation with China (HNC³) an der Universität Hamburg.

Es besteht nach wie vor ein erheblicher Wissens- und Lehrbedarf in Bereichen, in denen ein intensiver Austausch mit chinesischen Partnern bis vor einigen Jahren noch uneingeschränkt akzeptiert wurde. Wissenschaftler stehen vor dem Dilemma, Risiken und Chancen einer Zusammenarbeit abwägen zu müssen.

Ringot sagte gegenüber Table Briefings, dass „Forscher und Universitäten in allen Forschungsbereichen, die Chinas Militär- oder Überwachungspotenzial erweitern, sehr vorsichtig sein müssen“.

Das HNC³-Netzwerk wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und bündelt chinesische Expertise aus neun akademischen Einrichtungen in Hamburg. Zentraler Akteur im Netzwerk ist die Universität Hamburg.

Früher als andere begann sie, ihre Partner genauer unter die Lupe zu nehmen. Die übliche Prüfung internationaler Kooperationsanfragen wurde Ende 2020 deutlich intensiviert. Seitdem unterliegen die Anfragen einem vertieften Prüfungsprozess.

Die Umsetzung dieser detaillierten Einschätzung ergibt sich aus der „dynamischen weltpolitischen Lage“, aus der sich zunehmend eine systemische Rivalität zwischen Demokratien und Autokratien herauskristallisiert.

„Wir können die Armee nicht bewaffnen“

„Unsere Universitäten haben eine gesellschaftliche Verantwortung. Sie können sich nicht an der Bewaffnung der chinesischen Armee beteiligen“, sagt Ringot. Der Bewertungsprozess wurde bereits mehrfach im Detail angepasst, um das Risikopotenzial verstärkt zu berücksichtigen. Diese häufigen Anpassungen stehen symbolisch für die Defizite, die es bei deutschen Hochschulprüfungen noch vor wenigen Jahren gab.

Bei China ist es nicht immer einfach, „Nein“ zu sagen. Das Land bietet großzügige Fördermittel für Forschungsprojekte, gut ausgebildete Gastwissenschaftler und Partnerinstitutionen mit modernster Ausstattung. Seit vielen Jahren überwiegen die Möglichkeiten der Zusammenarbeit die potenziellen Gefahren für die Souveränität, die nationale Sicherheit und die Forschungsfreiheit Deutschlands. Aber das hat sich geändert.

„Wir sehen ein viel größeres Bewusstsein und eine größere Besorgnis, insbesondere im Hinblick auf Exportkontrollen“, sagt Alicia Hennig, Spezialistin für Wirtschaftsethik und China am Internationalen Hochschulinstitut (IHI) in Zittau der Technischen Universität Dresden.

Das geht aus dem Bundesarbeitskreis „Exportkontrolle und Wissenschaft“ hervor, bei dem Mitte Juni rund 130 Vertreter von Hochschulen und Forschungsinstituten über den Umgang mit Risiken und die Folgen einer Zusammenarbeit diskutierten. Hennig selbst arbeitete fünf Jahre lang als Professorin an einer chinesischen Universität, bevor sie die ideologischen Beschränkungen ihrer Lehre nicht länger akzeptierte und das Land verließ.

Frustration

Innerhalb der Arbeitsgruppe erkannte Hennig allerdings „großen Frust darüber an, dass die Bundesregierung keine zentrale Rolle bei der Risikobewertung für Hochschulen spielt“.

In seinem Positionspapier zur Forschungssicherheit vom März 2024 kündigte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) an, „die Überprüfung und (kontinuierliche) Weiterentwicklung der Leitlinien und entsprechender Instrumente durch die Wissenschaft aktiv zu unterstützen.“ Dennoch sind die Universitäten weiterhin verpflichtet, die endgültige Entscheidung zu treffen.

Das Problem ist, dass viele Akademiker kaum oder gar keine China-Expertise haben. Sie beurteilen Risiken anhand ihrer persönlichen Werte und Erfahrungen. Sie können weder die individuellen Hintergründe chinesischer Wissenschaftler einordnen noch Verbindungen zwischen Partnerinstitutionen und der Waffenindustrie oder den Überwachungsprogrammen des Staates erkennen.

Die Universität Hamburg möchte diese Lücken schließen. Das Verfahren zur eingehenden Überprüfung ist nicht länderspezifisch. Auch Anfragen aus anderen Ländern werden geprüft, insbesondere wenn sie autoritär sind. Den meisten Verfahren liegen jedoch Anfragen zur Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern zugrunde.

KI-Projekt abgebrochen

Die überwiegende Mehrheit der bisher etwa 20 untersuchten Verfahren betrifft Naturwissenschaften, Technik, Ingenieurwesen und Mathematik. Die meisten von ihnen erhielten grünes Licht. In einem Fall wurde jedoch eine laufende Zusammenarbeit unterbrochen. Der Schwerpunkt des Drittmittelprojekts lag auf maschinellem Lernen und KI. Als der Antrag für die dritte Phase gestartet wurde, tauchten mehrere offene und kritische Fragen auf, die nach langer Debatte und Überlegung gegen eine Fortsetzung des Projekts sprachen.

Das Verfahren braucht Zeit: Nach der Einstufung anhand der Länderliste des Academic Freedom Index erfolgt ggf. eine thematische Einordnung nach Forschungsbereichen mit erhöhtem Risiko oder Exportkontrollrelevanz.

Deuten auch die Kriterien des Bundesausfuhrkontrollamtes auf ein hohes Risiko hin, wird die vertiefte Prüfung fortgesetzt. Anschließend holt die Universität Informationen von Projektleitern und Bewertungen einiger Fachbereiche ein, koordiniert diese, organisiert Beratungen und erarbeitet schließlich einen Vorschlag für den Präsidialrat. Hier wird die endgültige Entscheidung getroffen, ob eine Zusammenarbeit aufgenommen werden soll oder nicht.

Mehr Vorsicht

Auch die Technische Universität München lässt Vorsicht walten. „Wir beobachten in den letzten Jahren eine große Sensibilität und einen erhöhten Beratungsbedarf bei unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hinsichtlich internationaler Kooperationen“, erklärt die Universität. Besondere Aufmerksamkeit gilt China.

Im Rahmen ihrer 2022 entwickelten Global Engagement Principles hat die Technische Universität Darmstadt einen „China Roundtable“ eingerichtet, der Forschenden konkrete Informationen und Empfehlungen liefert.

Dies soll einerseits zu einer größeren Sensibilisierung beitragen. Ziel ist es andererseits, Möglichkeiten für eine optimale Gestaltung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit zu schaffen. leitende Fragen Als Grundlage dienen die Schlussfolgerungen der Hochschulrektorenkonferenz zur Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern.

Auch an der Freien Universität Berlin läuft ein Sensibilisierungsprozess, insbesondere innerhalb der internationalen und juristischen Abteilungen. Ein umfassender Kontrollprozess befindet sich seit Jahresbeginn in der Testphase.

Bislang habe es bei Drittmittelanträgen nur eine Empfehlung gegeben bzw. „im Fall einiger Länder wie China“ könne die Hochschulleitung eine Begutachtung beantragen. Darüber hinaus hat die Freie Universität ein China Advisory Committee eingerichtet, dessen Aufgabe es ist, die Universitätsleitung bei der Zusammenarbeit mit China zu beraten.

Risiken sind noch nicht ausgeschlossen

Anträge auf chinesische Drittmittel werden von der internationalen Abteilung – insbesondere von Landesverantwortlichen – nach Rücksprache mit der Forschungsabteilung geprüft. Auch hier sind die zentralen Fragen: Besteht die Gefahr einer Verletzung der Wissenschaftsfreiheit oder einer Verletzung von Exportkontrollrechten?

Derzeit sind in der Forschungsdatenbank der Freien Universität sechs laufende Kooperationen mit China aufgeführt, die alle vollständig aus Mitteln des EU-Programms Horizon Europe, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), der Deutschen Stiftung für Forschung (DFG) oder anderer internationaler Organisationen finanziert werden.

Darüber hinaus werden zwei Langzeitprojekte teilweise von China gefördert: das Zentrum für Germanistik, gefördert von der Peking-Universität, der Freien Universität und der Humboldt-Universität, sowie der Deutsche Akademische Austauschdienst. China finanziert auch das Konfuzius-Institut der Universität, „das unabhängig von der universitären Ausbildung arbeitet und hauptsächlich Sprachkurse und kulturelle Veranstaltungen anbietet“, heißt es in einer Erklärung der Universität.

Diese Beispiele zeigen, dass bestimmte deutsche Wissenschaftskreise nicht mehr bereit sind, chinesische Kooperationsanfragen um jeden Preis anzunehmen. Wurden die Risiken vermieden? Überhaupt nicht, sagt Hennig. „In einigen Bereichen haben deutsche Wissenschaftler erhebliche Fortschritte gemacht. In anderen Fällen ist es immer noch sehr schwierig oder es fehlt der Wille, Risiken mit geeigneten Mechanismen zu begegnen. »

Willi Langer

„Neigt zu Apathieanfällen. Bierevangelist. Unheilbarer Kaffeesüchtiger. Internetexperte.“

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