Beachten: Besuche eines türkischen Präsidenten in Deutschland sind selten einfach. Dies galt insbesondere während der Amtszeit von Präsident Recep Tayyip Erdoğan.
Deutschland, das die größte türkische Bevölkerung außerhalb der Türkei hat, ist zum Zentrum der selbstbewussten Außenpolitik Erdoğans geworden. Unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland oder sogar davon, ob Deutschland ihr Geburtsland ist, betrachtet Erdoğan die türkische Diaspora in Deutschland als Teil seiner breiteren nationalen Wählerschaft. Und er behandelt es auch so.
Erdoğans Haltung hat in der Vergangenheit zu Spannungen geführt, insbesondere als der Wahlkampf in Deutschland groß angelegte Kundgebungen und radikale Rhetorik beinhaltete. Die Liste der Ärgernisse in den deutsch-türkischen Beziehungen während der Erdoğan-Zeit ist lang.
Als Erdoğan diese Woche zum ersten Mal seit drei Jahren wieder Deutschland besucht, ist die Atmosphäre sichtlich angespannter als bei den vorherigen Treffen. Der Kern dieser verschärften Spannungen ist der andauernde Krieg in Gaza, in dem Deutschland und die Türkei scharf gegensätzliche Positionen vertreten.
Die Solidarität Deutschlands mit Israel ist tief in seinem historischen Kontext und seiner politischen Philosophie verwurzelt, wie sie von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Ausdruck gebracht und kürzlich in einer Rede von Vizekanzler Robert Habeck bestätigt wurde.
Indem Erdoğan eine gegenteilige Meinung vertritt, positioniert er sich als globaler muslimischer Führer, indem er die Hamas kürzlich als „Freiheitskämpfer“ bezeichnete und Israel mit vehementer Rhetorik anprangerte.
Die tiefe Meinungsverschiedenheit über den Krieg in Gaza verdeutlicht die tiefe ideologische Kluft zwischen den beiden Nationen.
Doch trotz dieser tiefgreifenden Differenzen wird Erdoğans Besuch fortgesetzt, auch wenn er durch strenge Sicherheitsmaßnahmen, weit verbreitete Proteste und intensive Medienüberwachung unterstrichen wird.
Ein weiteres zentrales Element der deutsch-türkischen Beziehungen ist Erdoğans Rolle bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme. Seine Kontrolle über die Migrationsrouten nach Europa, insbesondere nach der syrischen Flüchtlingskrise, verschafft ihm erheblichen Einfluss auf europäische Länder, insbesondere Deutschland.
Dieser Besuch ist daher alles andere als eine diplomatische Formalität. Dies ist Teil des Gesamtbildes der komplexen und komplizierten Beziehungen Deutschlands zur Türkei und eines sich verschiebenden Machtgleichgewichts zwischen Europa und dem Rest der Welt.
Deutschland muss sich mit der Türkei auseinandersetzen, so schwierig es auch sein mag, nicht zuletzt weil die Türkei Mitglied der NATO ist. Die Türkei trat der NATO im Jahr 1952 bei, als sie eine säkulare, westlich orientierte Nation war – weit entfernt von ihrer aktuellen politischen Landschaft.
Selbst bei drastischen Veränderungen in der Regierungsführung kann die NATO ihre Mitglieder nicht einfach ausschließen. Angesichts der strategischen Bedeutung der Türkei im Nahen Osten würde sie dies nicht tun wollen, selbst wenn sie könnte.
Die Beziehungen der Türkei zu wichtigen Akteuren wie der Ukraine, Russland und dem Iran machen sie zu einem wichtigen geopolitischen Gesprächspartner. Daran könnte kein anderes Nato-Mitglied vorbeikommen – auch wenn die Türkei ihr das Leben weiterhin schwer macht, etwa durch ihre ständigen Provokationen gegenüber Griechenland oder ihr Zögern, neue skandinavische Mitglieder in das Nato-Bündnis aufzunehmen.
Aber es gibt einen konkreten Grund für die Deutschen, das Gespräch mit Erdoğan fortzusetzen, so schwierig es auch sein mag. Erdoğan übt Einfluss auf die türkische Gemeinschaft in Deutschland aus, insbesondere durch DİTİB, einen Dachverband von Moscheen, der mehr als 900 angeschlossene türkisch-sunnitische Moscheevereine in ganz Deutschland betreut.
Die vom türkischen Staat unterstützte DİTİB dient Erdoğan als ideologisches Medium und propagiert seine nationalistische und radikale Agenda unter den Deutschtürken. Dieser Einfluss weckt Bedenken hinsichtlich der Integration, der kulturellen Autonomie und des Einflusses ausländischer Regierungen in Deutschland.
Die Bemühungen der Bundesregierung, diesem Einfluss entgegenzuwirken, unterstreichen die umfassendere europäische Herausforderung, externe kulturelle und politische Einflüsse zu bewältigen, insbesondere solche von undemokratischen Regimen.
Erdoğans Besuch findet auch vor dem Hintergrund des demokratischen Rückfalls der Türkei statt. Unter Erdoğan kam es in der Türkei zu einem Vorgehen gegen bürgerliche Freiheiten, die Pressefreiheit und das Justizsystem, was zu Tausenden von Inhaftierungen führte.
Deutschland steht dieser autoritären Tendenz sehr kritisch gegenüber. Im Laufe der Jahre wurden mehrere deutsche Staatsbürger (darunter der bekannte Journalist Deniz Yücel) aus politischen Gründen in der Türkei inhaftiert, was zu diplomatischen Krisen führte.
Ein weiteres zentrales Element der deutsch-türkischen Beziehungen ist Erdoğans Rolle bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme. Seine Kontrolle über die Migrationsrouten nach Europa, insbesondere nach der syrischen Flüchtlingskrise, verschafft ihm erheblichen Einfluss auf europäische Länder, insbesondere Deutschland.
Während der europäischen Flüchtlingskrise im Jahr 2015 musste Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die harte Tour erfahren, dass Erdoğan die Macht hatte, Flüchtlingswellen nach Europa auszulösen und zu reaktivieren. Dies führte zum Abschluss eines Abkommens zwischen der EU und der Türkei zur Eindämmung der Einwanderung gegen Bezahlung nach Ankara.
Erdoğans Fähigkeit, diese Migrationsströme zu beeinflussen, unterstreicht die prekäre Natur der externen Abhängigkeit Europas für seine innere Sicherheit und soziale Stabilität.
Somit ist das Engagement Deutschlands gegenüber Erdoğans Türkei ein klassischer Fall von Realpolitik. Trotz der ideologischen Spaltung erkennt Berlin die Notwendigkeit an, die Arbeitsbeziehungen mit Ankara aufrechtzuerhalten. Nicht weil Deutschland es will. Nicht, weil irgendjemand in der deutschen Politik große Sympathien für Erdoğan hegt. Aber ganz einfach, weil Deutschland muss
Das könnte man bestenfalls als Pragmatismus bezeichnen. Für eine wertebasierte Außenpolitik ist dies aber sicher nicht der Fall.
In diesem Sinne kommt Erdoğans Besuch zu einer Zeit, in der der schwindende Einfluss Europas deutlich zutage tritt. Europa spielt im Nahen Osten praktisch keine Rolle mehr. Es verfügt nicht über die militärische Macht (oder die politische Einheit), um einen entscheidenden Unterschied zu machen.
Sogar die Türkei, die sich nach Erdoğans Missmanagement ihrer Wirtschaft in einer prekären Lage befindet, scheint inzwischen mehr Einfluss auf der Weltbühne zu haben als die EU. Europa war einst stolz darauf, demokratische Werte zu exportieren. Sie scheint eine defensive Haltung einzunehmen und sich in einer Welt zurechtzufinden, in der diese Werte nicht mehr allgemein geteilt oder respektiert werden.
Erdoğans Besuch zwingt Deutschland, sich mit den Realitäten der entstehenden multipolaren Ordnung auseinanderzusetzen. Auf der einen Seite stehen die liberalen demokratischen Werte, die Deutschland nach wie vor zu vertreten beansprucht. Auf der anderen Seite gibt es die realpolitischen Imperative, sich mit autoritären Mächten wie der Türkei auseinanderzusetzen, egal wie unappetitlich ihre Führer auch sein mögen.
Einige in Deutschland werden solche Kompromisse als Verrat an Prinzipien verurteilen – und in gewisser Weise sind sie es auch. Doch vom Realismus unkontrollierte Ideale sind ein Luxus, den sich ein schwächeres Deutschland und Europa nicht mehr leisten können.
Die Beziehungen Deutschlands zur Türkei sind kompliziert. Und dies ist nur ein Mikrokosmos der viel größeren Herausforderungen, vor denen der Westen heute und in den kommenden Jahrzehnten stehen wird.
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