In einem großen Tonwechsel werden die deutschen Grünen ihren Wahlkampf neben klassischen grünen Themen auch auf Themen wie Sicherheit und Wirtschaftsförderung konzentrieren und sich als pragmatische Regierungspartei präsentieren und Wähler zurückgewinnen.
Bei den letzten Europawahlen konzentrierte sich der Wahlkampf der Grünen mit dem Titel „Europas Versprechen erneuern“ auf zukünftige Chancen des grünen Wandels und auf Vorschläge wie den Green New Deal.
In der diesjährigen Rede werde es darum gehen, „das zu bewahren, was uns stärkt und schützt“, heißt es in dem Entwurf, in einem kaum verhüllten Appell an die zentristischen Wähler, während die Staats- und Regierungschefs die Notwendigkeit betonen, auf gemeinsame Anliegen zu hören und einen pragmatischen Ton anzunehmen.
„Viele Menschen streben zu Recht nach Wohlstand und Frieden“, sagte Ricarda Lang, die Vorsitzende der Grünen, der Presse am Donnerstag bei der Vorstellung des Manifests.
Angesichts drohender Herausforderungen wie „der Zukunft der Demokratie, der wirtschaftlichen und sozialen Lage der EU“ und dem Erfolg nationalistischer Parteien versuchten die Grünen, ihr „soziales und wirtschaftliches Profil“ zu stärken, erklärte Rasmus Andresen, Vorsitzender der deutschen Grünen im Europäischen Parlament, sagte Euractiv.
Unterdessen präsentierte Langs Co-Vorsitzender Omid Nouripour die Grünen als eine Kraft der Mäßigung.
„Kompromiss ist das Herzstück der Demokratie (…), was zählt, ist der europäische Erfolg, nicht wer gewinnt, und europäischer Erfolg hat keine Farbe“, erklärte er.
Realpolitik und Umwelt
Auf politischer Ebene versucht das Manifest daher, Realpolitik und wirtschaftsfreundliche Rhetorik mit den traditionellen Positionen der Grünen zu verbinden.
„Wohlstand und Klimaschutz gehen Hand in Hand. Die profitabelsten Märkte werden bald klimaneutral sein“, sagte Pegah Edalatian, Vizepräsidentin der Partei und Koordinatorin für europäische Angelegenheiten, gegenüber Euractiv.
Die Grünen schlagen die Schaffung einer europäischen „Infrastrukturunion“ vor, die ein Netz erneuerbarer Energieversorgungsleitungen aufbauen und digitale und soziale Infrastruktur entwickeln soll. Ein europaweites Ticketsystem soll die Nutzung klimaneutraler Schienenverkehrsdienste vorantreiben.
Hinzu kommen kriegerische Konnotationen in Bezug auf Geo- und Sicherheitspolitik. Die Grünen betonen die Notwendigkeit einer integrierten Sicherheitspolitik und einer stärkeren Position gegenüber China und den USA. Sie befürworten die Schaffung eines europäischen Geheimdienstes zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus.
Vertrauen wiederherstellen
Die neue Rhetorik der Mäßigung und des Pragmatismus spiegelt den schwierigen Aufstieg der Grünen als Juniorpartner in der deutschen Dreierkoalition neben der Mitte-Links-SPD und der marktfreundlichen FDP wider.
Nach wochenlangen Machtkämpfen innerhalb der Regierung kämpft die Partei immer noch mit den schlechten Umfrageergebnissen der Koalition. Sie hat sich vor allem auf die unpopuläre Vorzeigepolitik der Grünen konzentriert, die den Ersatz defekter Gasheizungen durch Systeme mit erneuerbarer Energieversorgung vorschreibt.
Die Grünen müssten daher „das Vertrauen der Wähler sichern und wieder aufbauen“, räumte Lang ein.
Nouripour betonte dennoch den unabhängigen Machtanspruch der Grünen und wies die Idee zurück, dass das Manifest ein Versuch sei, eine Zusammenarbeit mit der EVP, einer Mitte-Rechts-Fraktion im Parlament, anzustreben.
„Die EVP blockiert alles, was die Umsetzung betrifft“, sagte Nouripour.
Versöhnen Sie die Basis
Allerdings vollzieht die Führung eine Gratwanderung, denn sie muss andere Parteimitglieder von der Tonänderung überzeugen. Zuvor hatten parteiinterne Stimmen Unzufriedenheit mit einigen Entscheidungen Berlins geäußert, etwa der Unterstützung einer geplanten Migrationsreform, die die längere Inhaftierung einiger Asylbewerber an der EU-Grenze vorsieht.
„Wir werden es nicht bei ‚Ampelkompromissen‘ belassen“, versprach Andresen und fügte hinzu, er erwarte Veränderungen, denn die Parteibasis werde „unser Profil durch neue Änderungsanträge weiter schärfen“.
Lang gab zu, dass sie auf Kontroversen vorbereitet sei.
„Eine Parteiführung, die ein völlig unumstrittenes Manifest vorlegt, macht etwas falsch (…) – dazu beziehen wir auf jeden Fall Stellung“, sagte sie.
Der endgültige Text soll voraussichtlich auf einer Konferenz vom 23. bis 26. November verabschiedet werden.
(Nick Alipour | Euractiv.de)
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